Wohin mit dem Atommüll? Und wenn ja, wie lange?

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Dabei müssen zwei wesentliche Kriterien erfüllt sein:
„Für eine Million Jahre muss gezeigt werden, dass allenfalls sehr geringe Schadstoffmengen aus
dem Endlager freigesetzt werden können.“

Deutschland hat sich aufgemacht, endlich ein Endlager für seinen radioaktiven Müll zu suchen,
und schließlich zu finden.
Dabei müssen zwei wesentliche Kriterien erfüllt sein:

„Während der Betriebszeit des Endlagers muss die Rückholbarkeit der radioaktiven Abfälle
möglich sein. Im Notfall müssen die Behälter auch 500 Jahre nach Verschluss des Endlagers
geborgen werden können.“, so die Bundesgesellschaft für Endlagerung.
500 Jahre und eine Million Jahre. Was bedeuten diese Zeitdimensionen? Kann ich sie als Mensch
überhaupt begreifen?
Vor 10 Jahren kaufte ich mir mein erstes Smartphone. Vier Jahre zuvor hätte wohl niemand
gedacht, wie dieses kleine technische Gerät unsere Kommunikation, unser Sozialverhalten und
damit unsere gesamte Welt verändern wird.
2011 kam es in Fukushima zur Kernschmelze.
2008 vernichtete die weltweiten Finanzkrise nach seriösen Schätzungen zufolge
10.700.000.000.000 Euro.
Am 28. Januar 1986 stürzte das Challenger Space-Shuttle ab.
Am 26. April 1986 explodierte der Reaktor in Tschernobyl.
Alle vier Ereignisse wurden von Ingenieuren, Finanzmathematikern und Physikern als unmöglich
betrachtet, oder zumindest als vernachlässigbar klein.
Der Chefingenieur und Konstrukteur des Tschernobyl-Reaktors, Nikolai Dolleschal, war von der
Sicherheit seiner Konstruktion derart überzeugt, dass er behauptete, sein RBMK-Reaktor könne
auch direkt auf dem Roten Platz in Moskau errichtet werden, da keinerlei Gefahr für die Menschen
oder die Stadt von dem Atommeiler ausgehe.
Die Wahrscheinlichkeit eines schweren Unfalls für ein Space-Shuttle berechneten die Nasa-
Ingenieure bei der Konstruktion auf 1 zu 100.000. „Somit könnte das Shuttle durchschnittlich 300
Jahre lang täglich starten, bevor es zu einem Zwischenfall käme?“, fragte der Physiker Richard
Feynman, der die Untersuchung des Absturzes der Challanger-Raumfähre leitete, den
Sicherheitsbeauftragten des Shuttle-Projektes. Am 1. Februar 2003 ereignete sich ein weiteres
Space-Shuttle Desaster: Die Raumfähre Columbia brach beim Wiedereintritt in die Atmosphäre
auseinander. Die Wahrscheinlichkeit für einen Absturz der Raumfähren wurde nachträglich mit 1:
50 berechnet - und damit eigentlich als viel zu hoch für bemannte Raumfahrt angesehen.
Zur Wahrscheinlichkeit der Finanzkrise will ich aus dem Buch „Risiko“ von Prof. Gerd Gigerenzer,
Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, zitieren:
„Beispielsweise meldete David Viniar, Finanzvorstand von Goldman Sachs, riesige Verluste [ im
Jahr 2008 ], weil deren Risikomodelle völlig überraschend an mehreren Tagen hintereinander 25-
Sigma-Ereignisse verzeichneten. Wie unwahrscheinlich ist ein 25-Sigma-Ereignis? Laut den
verwendeten Risikomodellen [...] ist davon auszugehen, dass ein 3-Sigma-Ereignis alle zwei Jahre
an einem einzigen Tag auftritt. ein 5-Sigma-Ereignis nur einmal seit der letzten Eiszeit und ein 7-
bis 8-Sigma-Ereignis einmal seit dem Urknall. Ein 25-Sigma-Ereignis ist absolut jenseits all dessen,
was sich aufgrund der Modelle vorstellen lässt. Und dieses undenkbare Ereignis fand nicht nur
einmal, sondern gleich an mehreren Tagen statt. War das nun einfach schlecht gelaufen oder
schlecht berechnet? Schlecht gelaufen, also Pech, ist unwahrscheinlich. Das Problem ist
ungeeignete Risikoeinschätzung: Methoden, die in einer Welt der Ungewissheit fälschlicherweise
von bekannten Risiko ausgehen. Gerade ihre Genauigkeit erzeugt illusorische Gewissheit.“
Vor 40 Jahren schrieb ich als Erster an unserer Fakultät seine Examensarbeit in Biologie an einem
Computer. Davor fertigte man die für das Prüfungsamt notwendigen Kopien mit Hilfe von
Kohlepapier an. Wie das funktionierte wissen wohl nur noch die über 60-jährigen.
Ich erinnere mich gut, wie ich in der Nacht des 21. Juli 1969 dem ersten Schritt eines Menschen
auf dem Mond entgegenfieberte.
In meiner Lebenszeit reisten Wissenschaftler zum tiefsten Punkt der Ozeane und ins Weltall.
Die Entdeckung der DNA im Jahr 1953 lag vor meiner Geburt. Wie sehr hat sich seitdem allein die
Biologie weiterentwickelt. Und seit meinem Examen: Hätte ich in meiner Prüfung behauptet, von
Individuen erworbene Eigenschaften können an nachfolgende Generationen weitervererbt werden,
wäre ich nach diesem Satz exmatrikuliert worden. Niemand kannte damals den Begriff Epigenetik.
Ebenso waren die Grenzen des Lebens eng umrissen: Organismen, die in kochender
Batteriesäure überleben oder an den Wänden des havarierten Kernreaktors von Tschernobyl unter
tausendfach tödliche Strahlung existieren waren noch in den 1980er Jahren schlicht unvorstellbar.
Und erst Ende der 1970er-Jahre wurde eine dritte, völlig neue Domäne des Lebendigen entdeckt :
die der Archaeen, die ihren Platz fanden zwischen Bakterien und den Eukaryonten, zu denen alle
Pflanzen und Tiere, somit auch der Mensch zählt.
Dass sich auch Geophysiker und Geologen auf fatale Weise irren können zeigten drei Staudamm-
Katastrophen zu meinen Lebzeiten:
Am 8. August 1975 kam es zur Banquiao-Staudamm-Kaskadenkatastrophe in China mit 26.000
bis zu geschätzten 85.000 Toten. Nach schweren Regenfällen kollabierte erst der Banquiao-
Staudamm, dessen Flutwelle zerstörte anschließend weitere 62 Stauanlagen. Von den Ingenieuren
wurde der Banquiao-Staudamm auch eiserner Damm genannt und galt als unzerstörbar. Er war
entworfen worden um eine Überschwemmung zu überstehen, wie sie nur einmal in 1.000 Jahren
auftritt. Knapp 25 Jahre hielt der Damm, bevor er kollabierte.
Am 9. Oktober 1963 starben bei der Vajont-Katastrophe 2.000 Menschen. Auch hier gehen die
Schätzungen über die Zahl der Getöteten auseinander, da viele nie gefunden wurden und mit der
Flutwelle ins Mittelmeer gespült wurden. Eine Bergflanke löste sich auf über zwei Kilometer, und
270 Millionen Kubikmeter Gestein stürzten mit nahezu 100 Stundenkilometer in den Stausee. Der
Aufprall setzte eine Energie frei, die jener von drei Hiroshima-Bomben vergleichbar ist. Die 160
Meter hohe Flutwelle überspülte die damals höchste Staumauer der Welt und vernichtete fünf
Dörfer. Die Geologen vermuteten zwar eine Abrisskante im Gestein, aber „Der Abriß, wenn er
existiert, betrifft jedoch nur einige Schichten oberflächlichen Schuttmaterials, in der Stärke von
höchstens 20 bis 30 Meter. Darunter liegt kompaktes Gestein.“ Es besteht also keine Gefahr, so
ihr Gutachten - vor der Katastrophe.
Fünf Jahre nach Fertigstellung brach am am 2. Dezember 1959 die 66 Meter hohe Staumauer
Barrage de Malpasset nahe der Stadt Fréjus an der Côte d’Azur. Mindestens 423 Menschen
starben. Der Untergrund und die Lage für den Damm waren nach geologischen und
hydrologischen Gutachten als geeignet beurteilt worden. Eine tektonische Störung übersahen
jedoch die Wissenschaftler. Durch diese Kluft wurde der Staudamm unterspült und kollabierte
schließlich. 1967 entschied ein Gericht, dass niemand für die Katastrophe verantwortlich gemacht
werden könne.
Mein Vater war einer der Letzten, die im Zweiten Weltkrieg noch für das 1.000-jährige Reich
kämpften. Doch anstatt ein Jahrtausend zu überdauern, waren nach 12 Jahren und vier Monaten
die Schrecken der Naziherrschaft Geschichte. Und nach dem Abwurf von zwei Atombomben über
Japan auch der Zweite Weltkrieg.
Am 1. März 1954 zündeten die Vereinigten Staaten auf dem Bikini-Atoll eine Wasserstoff-Bombe.
Berechnet hatten sie deren Explosionskraft mit 5 Millionen Tonnen TNT-Äquivalent, was
übereinander getürmt die Ausmaße der Cheopspyramide hätte. Leider hatte der genialer wie
besessener Atombombenbauer Edward Teller eine Kleinigkeit bei der Konstruktion übersehen.
Und so detonierte die Bombe mit einer TNT-Äquivalenz von 15 Millionen Tonnen, dem dreifachen
der zuvor berechneten Sprengkraft. Einwohner einer entfernt liegenden Insel wurden schwer
verstrahlt, ebenso wie die Besatzung eines japanischen Fischerbootes sowie Techniker wie
Beobachter des Tests.

Dass ich jetzt hier sitze und mir Gedanken über ein atomares Endlager machen kann, verdanke
ich nicht der Weisheit unserer Politiker oder der Genialität von Generälen, sondern schlicht dem
puren glücklichen Zufall und einigen wenigen Menschen, die entgegen ihrer Befehle und
Direktiven in der Zeit des Kalten Krieges nicht den atomaren Holocaust starteten.
Möglich machte die Konstruktion der Atombombe erst die Studien von zwei geniale Menschen:
Max Planck, dem nach seiner Matura der Münchner Physikprofessor Philipp von Jolly
davon abgeraten hatte, eine naturwissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen. Schließlich sei "in
der Wissenschaft schon fast alles erforscht, und es gelte, nur noch einige unbedeutende Lücken
zu schließen“. 1918 wurde Max Planck mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Er öffnete
mit der Quantenphysik ein völlig neues und zuvor unbekanntes Kapitel der Physik.
Der zweite ist Albert Einstein, der die Allgemeine Relativitätstheorie entwickelte. Ohne Einstein
und Planck gäbe es keine Satelliten, kein GPS, kein Computer, kein Kernspintomographen, kein
Handy, keine Atomkraft...
Und doch irrte Einstein gewaltig: 1912 hielt der damals 31-jährige Meteorologe Alfred Wegener
einen Vortrag vor Geologen: "Völliger Blödsinn!" und "Humbug!" riefen die Koryphäen damals.
"Niemand, der bei Verstand ist, darf so etwas unterstützen", unterbrach ihn gar einer. Wegener
hatte auf dieser Konferenz die Grundlagen der Kontinentaldrift vorgetragen. Und stieß bei den
renommierten Wissenschaftlern auf harsche Ablehnung. 43 Jahre später unterstützte Albert
Einstein Wegeners Kritiker noch mit einem Buchvorwort. Heute gilt sie als Fundament der
Geologie - ohne die eine Endlagersuche unmöglich wäre.
Mein Großvater, den ich noch kannte, wurde 1896 geboren. Er kämpfte im 1. Weltkrieg und
überlebte Verdun nur durch eine Verletzung. Für mich ist diese Zeit Geschichte, weit weg.
Auch die Belle Époque, jene Zeit in Europa zwischen den Kriegen 1870/71 und dem 1. Weltkrieg.
Damals glaubten die Menschen an eine teleologische Weiterentwicklung hin zu etwas Besserem,
Schönerem, Friedlicherem. Dank der Fortschritte in der Wissenschaft und den Ingenieurtechniken
wäre die Zeit der Kriege und des menschlichen Leids für immer zu Ende, so ihre nicht
unberechtigte Hoffnung. Dank Robert Koch und Louis Pasteur machte die Medizin gewaltige
Fortschritte. Man glaubte an den Sieg über Krankheit und Siechtum, und über Elend und Hunger
Dank künstlich erzeugtem Stickstoff, der als Dünger diente. Aber auch die Grundlage für
Sprengstoff war. Es kam alles ganz anders. All der Fortschritt in den Wissenschaften richtete sich
auf den Schlachtfeldern gegen die Menschen, gegen die Menschlichkeit: Giftgas,
Maschinengewehre, Flugzeuge, Panzer... Gut hundert Jahre sind seitdem vergangen. Längst
Geschichte. Wer hätte am 27. Juli 1918, dem Vorabend zum Beginn des 1. Weltkrieges, zu sagen
vermögt, was allein in dem 20. Jahrhundert noch alles geschehen würde?
Vergessen auch das Kapitel der Menschenzoos, die zwischen 1870 und 1940 ihre Blütezeit in
Europa hatten. Damals gang und gäbe und kritiklos hingenommen: Menschen eines fremden
Volkes wurden entführt, in einen Käfig gesperrt und in einem Zoo für Besucher gut sichtbar
ausgestellt. Noch in den Jahren zwischen 1930 und 1932 gab es mehrere „Lippenneger“-Schauen
sowie 1931 die Ausstellung „Kanaken der Südsee“ auf dem Münchner Oktoberfest. Somit zu
Lebzeiten meines Großvaters und Vaters.
Am 14. April 1912 versank die Titanic in den eisigen Fluten des Nordatlantik. Als unsinkbar von
ihren Ingenieuren konstruiert lief sie ein Jahr zuvor vom Stapel. Der Chefkonstrukteur Thomas
Endrews ging zusammen mit seinem Schiff unter, während der Eigner und Direktor der Reederei
Bruce Ismay in eines der letzten Rettungsboote der Titanic stieg, die eigentlich nur Frauen und
Kindern vorbehalten waren. Er überlebte die Katastrophe. 1517 Menschen starben.
Am 24. November 1859 veröffentlichte Charles Darwin sein epochales Werk: Über die Entstehung
der Arten. Doch nach einer 2014 veröffentlichen Studie eines hochrangigen US-
Wissenschaftsverbandes glauben 90 Prozent der Amerikaner an einen Schöpfer - und nicht an die
Evolutionstheorie. Für viele von ihnen wurde die Welt am Morgen des 21. September 4004 vor
Christi von Gott erschaffen. Die Sintflut spülte im Jahr 2349 v. Chr. die Sünder vom Antlitz der
Erde, ganz so, wie es der anglikanische Theologe James Ussher aus der Bibel errechnete. Für
viele Menschen, nicht nur in den USA, ist dies eine Tatsache, kein Glaube. 40 Prozent der
Amerikaner glauben, dass die Klimakrise kein Problem ist, da die baldige Rückkehr Jesu Christus
bevor stehe, der sich dann schon darum kümmern werde. Heute, im 21. Jahrhundert.
Mit Darwin bin ich erst gut 150 Jahre in der Zeit zurück gereist...gerade einmal fünf Generationen.
Gehen wir weiter zurück in der Historie, zur Französische Revolution in den Jahren 1798 bis 1799.
Insgesamt starben über 20.000 Menschen durch die Guillotine, und zwischen 200.000 und
300.000 fanden den Tod durch die Gewaltherrschaft.
1763 erhoben sich zahlreiche Indianerstämme gegen die britische Herrschaft in Nordamerika. Da
kam der britische General Jeffrey Amherst auf die teuflischen Idee, mit Pocken infizierte Decken
an die Indianer zu verteilen, um diese somit auszulöschen.
Die Große Pest von London war in den Jahren 1665 und 1666 eine Epidemie im Süden Englands.
Sie forderte rund 100.000 Todesopfer, davon ca. 70.000 in London, was etwa einem Fünftel der
Stadtbevölkerung entsprach.
1618 bis 1648 verwüstete der 30-jährige Krieg Europa mit einer ungeheuren Grausamkeit. Seriöse
Schätzungen gehen von sechs Millionen Toten aus. In manchen Gebieten Deutschlands wurden
50 bis 70 Prozent der Bevölkerung abgeschlachtet.
Langsam nähern wir uns den 500 Jahren von heute zurück gerechnet.
Am 17. Februar 1600 endete Giordano Bruno auf dem Scheiterhaufen, nachdem er die
Unendlichkeit des Weltalls postuliert hatte und sich zum Kopernikanischen Weltbild bekannte.
1543 beschrieb Nicolaus Kopernikus in seinem Hauptwerk das heliozentrische Weltbild.
1517 nagelte Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg.
1492 entdeckte Christoph Kolumbus die „Neue Welt“. In den ersten 50 Jahren nach der
„Entdeckung“ Amerikas durch die katholischen Spanier waren bereits eine Million Indianer im
karibischen Raum zugrunde gegangen – ermordet, durch Zwangsarbeit zu Tode geschunden oder
an Infektionen gestorben. Nach 150 Jahren waren in ganz Amerika 100 Millionen Menschen
gestorben – über 90 Prozent der Bevölkerung.
Zwischen 1450 bis 1750 fanden die Hexenverfolgungen in Europa statt. Man schätzt, dass allein
in Deutschland 40.000 Menschen als Hexen verbrannt wurden. Damals „wussten“ die Menschen,
dass es Hexen gab. Sie waren real. Zweifelsohne. Die Autorität der Kirche unangefochten.
Und manch Habitus aus damaliger Zeit mag uns heute unverständlich, skuril und befremdlich
anmuten. So galt die Verwendung einer Gabel bis ins 17. Jahrhundert als anrüchig und
unchristlich. Vor allem die katholische Kirche und auch Martin Luther verurteilten deren Benutzung
scharf, „da das Essen als Gottesgabe mit den Fingern geführt werden sollte und die zwei Zinken
an die Hörner des Teufels erinnern.“.
Das alles - und noch viel mehr - passierte in den vergangenen 500 Jahren. Wer mag dann
formulieren und berechnen, was in den kommenden 500 Jahren auf und unter der Erde
geschehen mag? Und wie man ein Depot konstruieren kann, das zum einen nach 500 Jahren
wieder zu öffnen und entleeren ist - und zum anderen eine Million Jahre sicher den Inhalt
verwahrt.
Doch warum benenne ich gerade diese Beispiele? Weil die Menschen stets dachten - und
denken: so, nur so und nicht anders ist die Welt erschaffen, erbaut, gegründet. Nur so kann kann
die Welt und ihr Leben funktionieren. Nur so macht alles, aber auch wirklich alles Sinn. Ihre
Ordnung, ihr Wissen und ihre Vorstellung von der Welt ist in Stein gemeiselt. So geht es 10, 100,
1.000 Jahre, ja bis in alle Ewigkeit weiter. Doch stets kam es anders. Stets wurden belegte und
unzweifelhafte Wahrheiten über den Haufen geworfen, manchmal über Nacht. In anderen Fällen
dauerte es Jahre, Jahrhunderte. Nichts bleibt und blieb wie es ist. Zweiflern daran empfehle ich
die Lektüre von Nassim Taleb „Der Schwarze Schwan“.
Doch reisen wir weiter in der Zeit. Eine Million Jahre?! - Eine solche Zahl, ein solcher Zeitraum ist
nur noch abstrakt und mit menschlichen Sinnen und Vorstellungen nicht mehr zu begreifen:
Am 8. Juni 632 starb Mohammed in Medina.
Von 532 bis 537 wurde in Istanbul, dem damaligen Konstantinopel, die Hagia Sophia, die
Sophienkirche gebaut.
Vor 2000 Jahren die Geburt Jesu Christus.
Das römische Reich begann im vor knapp 3.000 Jahren im 8. Jahrhundert vor Christus Geburt.
Die Pyramiden von Gizeh wurden vor etwa 4.500 Jahren erbaut. Und sind ein gutes Beispiel dafür,
wie Menschen selbst mit höchstem Aufwand daran scheitern, etwas absolut einbruchsicher
wegzuschließen. Waren die Pyramiden doch dafür errichtet, den Pharaonen eine letzte Ruhestätte
zu bieten - für die Ewigkeit. Der Aufwand war beachtlich und kann heute noch voller Ehrfurcht
bestaunt werden. Doch geplündert wurden sie wahrscheinlich schon wenige Jahre nach dem
Verschließen der Grabkammern. Im besten Fall hielt das Siegel einige Jahrhunderte. Schade um
den Aufwand, könnte man sagen. Sinn gibt ihnen heute wieder der heutige Tourismus, 4.500
Jahre nach ihrem Bau.
Der Beginn des ersten Schriftsystems stammt aus der Zeit von 5.500 Jahren v. Chr.
Vor 10.000 Jahren endete die letzte Eiszeit.
Der Beginn der Landwirtschaft wird vor 14.000 Jahren vermutet.
Vor 10.000 bis 15.000 Jahren wurde der Hund domestiziert und begleitet den Menschen seither
treu.
Vor 25.000 Jahren starben die Neandertaler aus, von deren Genen sich noch etwa zwei Prozent in
meinem Erbgut finden, so wie bei den meisten Europäern. Nicht unbedingt zu meinem Nachteil,
denn manche dieser Neandertal-Gene stärken mein Immunsystem oder lassen mich meine
Nahrung besser verwerten.
Vor mindestens 50.000 Jahren baute der Homo sapiens die ersten hochseetauglichen
Wasserfahrzeuge und stachen damit in See.
Vor etwa 60.000 Jahren verließ der Homo sapiens Afrika und breitete sich in der Welt aus.
Seit etwa dieser Zeit wurde der australische Kontinent von den Aborigines besiedelt.
Höhlenmalereien von Neandertalern in Spanien sind nachweislich 64.000 Jahre alt.
Erste Kunstwerke und Schmuckstücke entstanden wohl vor etwa 100.000 Jahren.
200.000 Jahre sind die ältesten Relikte des Homo sapiens alt.
Vor 600.000 Jahren lernte der Homo heidelbergensis, einer unserer ausgestorbenen entfernten
Verwandten, das universelle Werkzeug der Steinzeit herzustellen: den Faustkeil.
Vor 790.000 Jahren verstand es erstmals einer unserer Vorfahren, der Homo erectus, der
„aufrechte Mensch“, selbst ein Feuer zu entzünden.
Geologen gehen davon aus, dass in den Alpen pro Jahr etwa ein Millimeter abgetragen wird. Das,
was heute die höchsten Gipfel der Gebirge bildet, lag vor einer Million Jahre in einem Kilometer
Tiefe.
Vor etwa 1,7 Millionen Jahre ging einer unserer frühen Urahne erstmals aufrecht. 
Eine lange, lange Zeit.
Und dann fehlen in der Liste noch die Naturkatastrophen, die ein solches Endlager ganz schnell
obsolet machen können. Dazu nur ein paar wenige Beispiele:
Auf der indonesischen Insel Sumatra liegt der 87 Kilometer lange und 27 Kilometer breite
Tobasee. Ein Vulkansee, der beim Ausbruch eines Supervulkans vor ca. 73.000 Jahren entstand.
Nach einer Theorie könnte sich durch diese gewaltige Eruption das Erdklima entscheidend
verändert und somit die Menschheit an den Rand ihrer Ausrottung gebracht haben. DNA-
Analysen legen nahe, dass die Population des Homo sapiens damals auf nur wenige hundert,
bestenfalls 10.000 Individuen weltweit reduziert wurde.
Einer Studie von Forschern der University of Bristol aus dem Jahr 2017 zufolge ist die Gefahr des
Ausbruchs eines der 20 bislang entdeckten Supervulkanen auf der Erde 10-mal häufiger als zuvor
angenommen. Sie gehen von einer Eruption alle 5.200 bis 48.000 Jahre aus. Ein letzter derartiger
Ausbruch mit globalen Folgen liegt 20.000 Jahre zurück.
Der Barringer-Krater mit einem Durchmesser von 1.200 Meter und einer Tiefe von 180 Meter
entstand vor ca. 50.000 Jahren durch den Einschlag eines Eisenmeteoriten im heutigen Arizona.
Vor etwa 790.000 Jahren schlugen offenbar mehrere bis zu zwei Kilometer große Meteoriten auf
der Erde ein, mit gravierenden Folgen: Es gab Feuer und Erdbeben im Umkreis hunderter
Kilometer, sowie hunderte Meter hohe Tsunamis. Das durch die Wucht des Einschlags
geschmolzene Gestein wurde bis zu 9.000 Kilometer weit in alle Richtungen geschleudert.
Die Universität von Heidelberg schätzt, dass das gegenwärtige Einschlagrisiko durch einen
großen Meteoriten möglicherweise signifikant unterschätzt wird. Die Menschheit also viel öfter mit
verheerenden Einschlägen rechnen muss.
Ich glaube an die Wissenschaft. Ich glaube auch an die menschengemachte Erderwärmung,
deren Folgen heute schon sichtbar sind. Und deren dramatische Auswirkungen in den
kommenden 50 Jahren die Welt in eine ihrer größten Krisen der vergangenen Jahrhunderte führen
wird, falls wir nicht entschieden versuchen, das 1,5 Grad-Ziel einzuhalten.
Aber ich glaube nicht, dass irgend ein Wissenschaftler vorhersagen kann, was in den nächsten
500 Jahren passieren wird. Ob nicht in dieser Zeit Menschen aus purer Ignoranz oder in voller
Absicht das Endlager öffnen. Um vielleicht eine schmutzige Bombe aus dem hochradioaktiven
Müll zu konstruieren. Und niemand, aber auch wirklich niemand kann sagen, was denn in einem
Zeitraum von einer Millionen Jahre an einem beliebigen Ort dieser Welt geschehen wird. Und ob
der todbringende Inhalt der Castor-Behälter nicht doch wieder an die Oberfläche gelangt, egal wie
tief weg und wie weit weg wir sie vergraben. Und wie sicher wir heute davon überzeugt sind, dass
niemals ihre todbringende Fracht wieder an die Oberfläche gelangt.
In der griechischen Mythologie folgt der Hybris des Menschen die Bestrafung durch Nemesis,
was zum Fall und Tod der Protagonisten führt. Nicht alles, was die Menschen früher wussten und
dachten muss heute falsch sein.
Und vielleicht fällt ja nur mir der Widerspruch auf: Eine Krypta für unsere todbringenden
Hinterlassenschaften zu bauen, die einerseits 500 Jahre lang derart zugänglich sein muss, dass
deren Inhalt wieder rückholbar ist. Und zugleich soll jene Gruft eine Million Jahre vor jeglichem
Zugriff, jeglicher Kontamination der Umwelt absolut und zweifelsohne sicher sein soll, ja sicher
sein MUSS. Dafür kann niemand und nichts, weder Wissenschaft noch Glaube garantieren. Wer
dies dennoch verspricht darf getrost Scharlatan genannt werden.
Und man sollte sich nicht auf Statistiken über die Sicherheit solcher Endlager verlassen bei einem
derart über Jahrhunderttausende todbringenden Stoff wie Plutonium; den seine Entdecker nicht
ohne Grund nach Pluto, dem Gott der Unterwelt und König über die Toten nannten.
Nun denn: Laut der Bundesgesellschaft für Endlagerungen wird erst einmal in kürzeren
Zeitdimensionen geplant: bis 2031 will man einen Standort für das Endlager finden, ab 2050
sollen dann die Behälter mit strahlendem Abfall unterirdisch eingelagert werden. 
Ich bin äußerst gespannt, was bis dahin noch alles geschehen wird. Mit dem winzig kleinen
Erreger Covid-19 hatte auch niemand gerechnet.


Thomas Brodbeck
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